Montag, 10. Dezember 2012

Grenzerfahrungen

Vor fast 60 Jahren, am 27. Juli 1953, endete der Koreakrieg mit der Unterzeichnung eines Waffenstillstandsabkommens. Es war ein Krieg, der mehr als drei Jahre andauerte, 940.000 Soldaten und drei Millionen Zivilisten das Leben kostete und die Teilung Koreas zementierte. Bis heute wurde kein Friedensvertrag geschlossen. Die damals festgelegte Demarkationslinie nahe des 38 Breitengrades bildet bis heute die Grenze zwischen Süd- und Nordkorea.

Südkoreas Hauptstadt liegt nicht weit entfernt von der Grenze, nämlich etwa nur eine Stunde Autofahrt. Und so schloss ich mich am Samstag zusammen mit meinem Kollegen Markus einer geführten Tour an, um einige historische Stätten des Koreakrieges zu besuchen und einen Eindruck von der Situation an der heutigen Grenze zu gewinnen. Angeboten werden diese Touren von einigen wenigen einheimischen Veranstaltern, die Zeitplan und Ablauf genau vorgeben – viel Raum für individuelle Gestaltung bleibt nicht. Dafür hat man die Möglichkeit, die am stärksten militärisch abgesicherte Grenze der Welt zu besichtigen. Nord- und Südkorea haben Schätzungen zufolge zusammen fast 2 Millionen Mann unter Waffen.

Frühmorgens ging es los mit dem Bus, Richtung Nordwesten zunächst am Hangang entlang. Ziel war die vier Kilometer breite demilitarisierte Zone (DMZ), die sich südlich und nördlich der Demarkationslinie erstreckt und deren Einrichtung Bestandteil des Waffenstillstandsabkommens von 1953 war. Während der auf der südkoreanischen Seite gelegene Teil der DMZ von den Vereinten Nationen unter Führung der USA verwaltet wird, hat Nordkorea die Verwaltung des nördlichen Teils inne. Zur DMZ und ebenfalls zum vorgelagerten Bereich haben ausschließlich autorisierte Personen Zugang; wir hatten zu diesem Zweck schon mehrere Tage vor der Tour Kopien unserer Pässe abgeben und uns registrieren müssen. An einem Checkpoint hielt der Bus für eine kurze Kontrolle an. Zwischen einigen Grenzbarrieren hindurch fuhren wir dann in die DMZ, um zunächst eine der Hauptattraktionen anzusteuern: den dritten Invasionstunnel.

Dieser Tunnel, der in den 70er Jahren von Nordkorea gegraben und 1978 noch während der Arbeiten von den Südkoreanern entdeckt wurde, sollte den Nordkoreanern bei einer Invasion zum schnellen Überbrücken der Grenze dienen. Angeblich sollten bis zum 30.000 Mann pro Stunde den Tunnel passieren können. Drei weitere Tunnel dieser Art sind derzeit an der Grenze bekannt, bis zu zwanzig weitere werden vermutet. Mit einer kleinen Bahn und ausgestattet mit Schutzhelmen fuhren wir durch einen extra hierfür angelegten Schacht in die Tiefe – der Tunnel liegt etwa 70 m unter der Oberfläche und ist 1,7 km lang. 200 Meter hiervon sind für Besucher zugänglich, wobei bei es bei einer Breite und Höhe von jeweils zwei Metern an manchen Stellen sehr eng ist.

Nordkorea bestritt anfangs, den Tunnel gegraben zu haben – allerdings gab es eindeutige Indizien, die schwer zu widerlegen waren. Einerseits ist der Tunnel mit seiner Neigung so angelegt, dass das in den Tunnel eindringende Grundwasser immer zur nordkoreanischen Seite fließt und während der Bauarbeiten dort abgepumpt werden kann. Zum anderen sind die unzähligen an den Wänden zu erkennenden Bohrlöcher für das Platzieren von Dynamit in Nord-Süd-Richtung gebohrt. Als nicht mehr abgestritten werden konnte, wer der Urheber dieses Werks war, schwang Nordkorea auf eine andere Argumentation um: Der Tunnel sei Bestandteil einer Kohlemine gewesen. Tatsächlich findet sich auch heute noch an allen Tunnelwänden Kohlestaub – der wohl von den sich zurückziehenden Arbeitern dort absichtlich verteilt wurde. Schließlich handelt es sich um hartes Granitgestein, das geologisch betrachtet einen anderen Ursprung hat als Gesteine, in denen sich fossile Rohstoffe wie Kohle finden lassen. Besonders überzeugend war also auch dieses Manöver nicht.

Im gesamten Tunnel waren Fotografieren und Filmen verboten, deshalb verzichte ich darauf, eigene Bilder zu zeigen. Allerdings liefert das nachfolgende YouTube-Video einen guten Eindruck vom Tunnel: Genau so sieht es dort aus.



Der Platz vor dem Tunneleingang - hier sind Fotos erlaubt


Eine Plastik, die den Wunsch nach der Wiedervereinigung Koreas symbolisiert


Vom dritten Invasionstunnel fahren wir zum Bahnhof Dorasan, der in der DMZ gelegen ist. Von 2007 bis 2008, also für etwa ein Jahr, fanden von diesem Bahnhof aus Frachttransporte in die nahe gelegene Sonderwirtschaftszone Kaesong statt. Kaesong ist die drittgrößte Stadt Nordkoreas, in der es seit 2002 ein Areal gibt, in dem sich südkoreanische Unternehmen niedergelassen haben. Etwa 50.000 Nordkoreaner arbeiten hier für durchschnittlich 160 US-Dollar pro Monat. 750 Südkoreaner pendeln täglich über die Grenze in diese Sonderwirtschaftszone, um dort die Geschäfte zu lenken. Es ist die einzige Stelle, an der die Grenze zwischen Nord- und Südkorea für einige wenige Koreaner durchlässig ist. Die Frachttransporte, die dazu dienen, Rohstoffe nach Kaesong zu bringen und die verarbeiteten Produkte nach Südkorea zu transportieren, finden seit 2008 wieder ausschließlich per LKW statt. Der Bahnhof hingegen ist verwaist. So sind wir Touristen dann auch die einzigen, die sich dort umschauen. 56 km sind es von hier nach Seoul – und 205 km nach Pjöngjang.


Der Bahnsteig - verwaist. Hier hält kein Zug.


Eine Frage der Perspektive - und ein Wunschgedanke


Wo geht es hier nach Pjöngjang?


Posieren mit einem südkoreanischen Soldaten


Da an den letzten Tagen sehr viel Schnee gefallen war, waren einige Teile der DMZ nicht zugängig gewesen. Wir hingegen haben Glück – nach unserem Besuch des Bahnhofs können wir zum Dora-Beobachtungsposten fahren. Dabei handelt es sich um einen Aussichtspunkt, von dem aus sich das gesamte umliegende Grenzgebiet überblicken lässt. Bei gutem Wetter kann man zudem viele Kilometer nach Nordkorea schauen und sich ein Bild von Kaesong verschaffen. Es ist sehr kalt an diesem Tag, die Luft ist kalt und trocken. Und so haben wir einen ausgezeichneten Blick über den Grenzstreifen, auf die Stadt und die dahinterliegenden kahlen Berge Nordkoreas, die wegen dauerhaften Brennholzmangels keinen einzigen Baum mehr aufweisen. Durch riesige Fernrohre können wir die Menschen auf den Straßen beobachten. Bilder dürfen wir auch hier kaum machen – nur hinter einer Markierung stehend darf fotografiert werden. Die nachfolgenden Schnappschüsse vermitteln zumindest eine Idee vom Ausblick über das Land.


Kaesong...


...und seine Sonderwirtschaftszone


Nur von meinem hiesigen Standort darf fotografiert werden.

Unser nächster Stopp führte uns nach Imjingak, von wo aus man einen Blick auf Brücke der Freiheit hat. Der Name der Eisenbahnbrücke stammt aus der Zeit, als viele südkoreanische Soldaten aus der Kriegsgefangenschaft zurückkehrten und diesen Weg nahmen. Direkt neben der Brücke gab es die Überreste einer im Krieg zerstörten Dampflok zu bestaunen. Außerdem wurde ein Ort des Gedenkens eingerichtet, an dem sich Südkoreaner einfinden können, um sich ihrer Heimat, ihrer Freunde und Familienangehörigen zu erinnern, die durch die Teilung des Landes unerreichbar sind. Die vielen bunten Fähnchen am Stacheldrahtzaun sind mit Wünschen der koreanischen Besucher versehen – viele werden den Wunsch nach Wiedervereinigung des Landes tragen.


Die Brücke der Freiheit


Eine durchsiebte Dampflok aus dem Koreakrieg


Bänder mit Wünschen - und Stacheldraht


Letzte Station und Höhepunkt unseres Ausflugs war der abschließende Besuch der Joint Security Area (JSA), die im gesamten Grenzgebiet einmalig ist und die dazu dient, Treffen der süd- und nordkoreanischen Militärs zu ermöglichen. Es handelt sich um ein Camp, durch dessen Mitte die Demarkationslinie und damit die Grenze verläuft. Nördlich der Linie stehen Gebäude Nordkoreas, südlich davon südkoreanische Gebäude und Posten. Die Soldaten stehen sich nur wenige Meter entfernt direkt gegenüber – eine unüberlegte oder missverstandene Handlung kann schnell zur Eskalation führen. In den vergangenen Jahren gab es deshalb in der JSA auch mehrfach tödliche Zwischenfälle. Bevor wir von amerikanischen Soldaten begleitet in das Camp fuhren, mussten alle Teilnehmer deshalb auch eine Erklärung unterschreiben, die unter anderem folgenden Wortlaut enthielt: „…the United Nations Command, the United States of America, and the Republic of Korea cannot guarantee the safety of visitors and may not beheld accountable in the event of an hostile enemy act“.

Am Camp angekommen, gingen wir durch das südkoreanische Besuchergebäude und standen schließlich etwa 20 Meter von der Grenze entfernt. Vor uns und damit genau auf der Grenze standen mehrere Gebäude, die zur einen Hälfte in Nord- und zur anderen Hälfte in Südkorea liegen. Genau dort finden die Treffen der beiden Parteien statt, falls es militärische Themen zu besprechen gibt. Eines der Häuser durften wir betreten und näher in Augenschein nehmen. In der Mitte des großen Raumes stand tatsächlich ein Tisch genau auf der Grenzlinie, so dass jeder Teilnehmer auf einer Seite des Tisches Platz nehmen konnte und dabei auf seinem Territorium blieb. Wir konnten uns im Raum frei bewegen und setzten damit unsere Füße auch auf nordkoreanisches Territorium.


Blick auf Nordkoreas Gebäude in der JSA. Bei der Erhöhung im Schnee zwischen den blauen Gebäuden
handelt es sich um die Demarkationslinie.




In einem der blau getünchten Häuser - hier finden Treffen zwischen süd- und nordkoreanischen Militärs statt. Ich stehe gerade in Nordkorea.



Keine Puppe - sondern ein echter südkoreanischer Soldat


Nach wenigen Minuten war die kurze Visite vorüber. Wir verließen die JSA und anschließend auch die DMZ mit einem etwas mulmigen Gefühl. Grenzen zu besuchen ist nie ein erhebendes Gefühl, aber an diesem Ort konnten wir geradezu spüren, welche Spannungen es hier auch fast 60 Jahre nach Ende des Koreakrieges noch gibt. Ein kleiner Funken kann das Pulverfass zum Explodieren bringen. Der Tag war beeindruckend und macht nachdenklich – was wohl die Zukunft Koreas bringen wird? Ob es eines Tages gelingen wird, das Land wieder zu vereinigen? Einfach wird es nicht.

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