Die Bewölkung und die Temperaturen unterhalb des Gefrierpunktes ließen mich hoffen, dass die Insel wenig besucht sein würde – und so kam es auch. Nachdem ich nach einer Stunde Fahrt die Brücke überquert hatte, die Festland und Insel verbindet, lagen verlassene Landstraßen vor mir. Mein erstes Ziel des Tages waren einige Überreste der Besiedlung der Insel in der Bronzezeit vor etwa 3.000 Jahren. Zu bestaunen sind vor allem die Grabanlagen aus der damaligen Zeit, die von der UNESCO augrund ihrer einmalig hohen Anzahl und Dichte zum Weltkulturerbe ernannt wurden. Auf Ganghwa finden sich heute über die Insel verstreut noch einige Dutzend dieser Hünengräber, die aus gewaltigen, übereinander geschichteten Steinbrocken bestehen. An der bedeutendsten Stätte wurde ein kleiner Museumspark errichtet, der neben einem historischen Museum auch Nachbauten von Hütten aus der Bronzezeit umfasst. Über dieses Gelände schlenderte ich nach meiner Ankunft, während mir ein kalter Wind ins Gesicht blies. Im eisigen Winter in einer der gezeigten Strohhütten hausen zu müssen, war sicherlich sehr unangenehm. Die Überreste des Hünengrabs hingegen ließen mich das Winterwetter vergessen – zu gewaltig die Ausmaße, zu unvorstellbar die Leistung, die tonnenschweren Gesteinsbrocken an diesen Ort zu schaffen und aufzurichten.
Nach einem kleinen Spaziergang durch den Museumspark setzte ich mich wieder hinters Steuer und fuhr in den Norden der Insel. Mein Ziel war der nördlichste Punkt des Eilands, wo Südkorea nur durch einen schmalen Meeresarm von Nordkorea entfernt ist. Wenige Kilometer vor dem Erreichen stieß ich auf eine Straßensperre der südkoreanischen Streitkräfte, die damit diesen westlichen Teil der Grenzlinie zwischen Nord- und Südkorea absichern. Da ich mir nicht sicher war, ob ich ohne weitere Erlaubnis passieren darf, sprach ich kurzerhand den schwerbewaffneten südkoreanischen Soldaten an, der mich wahrscheinlich zwar ebenso wenig verstand wie ich ihn, der mir aber zu verstehen gab, dass ich fahren könne. So rollte ich langsam am Wachposten und der Straßensperre vorbei der Nordküste der Insel entgegen.
Auf meiner Fahrt der Küste entlang stieß ich bald auf ein Besucherzentrum, das, exponiert auf einem Hügel gelegen, einen ausgezeichneten Blick über die Grenze hinweg nach Nordkorea ermöglichte. Zudem gab es einen Raum mit Multimediavorführungen über diesen Grenzabschnitt und einen weiteren Raum, in dem die Besucher ihren Wünschen nach Wiedervereinigung Koreas Ausdruck verleihen können. Ergänzt wurde das Gesamtbild des Zentrums mit einer Mischung aus historischen Fotos und militärischen Gerätschaften, die sich in der näheren Umgebung des Gebäudes fanden.
Ich befand mich gerade auf dem Rückweg zum Parkplatz, als erste Schneeflocken vom Himmel herabzutanzen begannen. Schon bald sollte daraus starker Schneefall werden, der der Insel und mit ihr der Küste ein winterliches Antlitz verpasste. Meine weitere Fahrt über zunehmend verschneite Straßen führte mich in den Süden, wo ich eine der großen Attraktionen beim ersten Besuch ausgelassen hatte: Jeondeungsa.
Eine Fahrt entlang der Küste führt mich in Gegenden, in denen Fischfang auch heute noch zu den Haupteinnahmequellen gehört
Jeondeungsa zählt zu den bedeutendsten und ältesten Tempeln Koreas und liegt geschützt durch einen Befestigungsring im südlichen Hinterland. Bedingt durch das Wetter befanden sich nur noch wenige Besucher dort, als ich über eingeschneite Wege bergan dem Tempel entgegenstapfte. Die Anlage setzt sich aus mehreren Gebäuden zusammen, die einen kleinen zentralen Platz umstehen. Ich machte einen kleinen Rundgang über das Gelände und verschaffte mir einen ersten Eindruck, bevor ich mich ins Innere der Tempelgebäude vorwagte. Reichlich verziert und kunstvoll ausstaffiert vermittelten Gebetsräume und Altare eine Idee von der Bedeutung der Stätte für die Buddhisten Koreas. Kein Raum glich dem Anderen, aber Ruhe und Festlichkeit waren ihnen allen gemein.
Beschwingt von den Eindrücken machte ich mich anschließend auf den Weg zurück zum Auto. Meine Rückfahrt nach Seoul war geprägt von den Auswirkungen des Schneefalls, der auf den Hauptstraßen ein Verkehrschaos ausgelöst hatte und zu nicht endenden Staus führte. Nachdem ich es über eine der beiden Brücken zurück aufs Festland geschafft hatte, setzte ich mich auf Nebenstraßen ab und gelangte über diese zügig und problemlos zurück nach Hause.
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