Dienstag, 13. November 2012

Ganghwado

An den ersten zwei Wochenenden war ich in die Berge gefahren, obwohl das Gelbe Meer doch nur wenige Kilometer von Seoul entfernt ist. Es war also an der Zeit, die maritime Seite Koreas kennenzulernen. Und so setzte ich mich am Sonnabend hinter das Steuer meines Leihwagens und versuchte, dem Navigationsgerät das gewünschte Ziel beizubringen. Da ich mein koreanisches Navi mittlerweile gegen ein englischsprachiges getauscht hatte, funktionierte das nach etwas Probieren dann auch. Meine Idee war, der direkt vor der Mündung des Hangang liegenden Insel Ganghwa einen Besuch abzustatten, mit 300 km² Fläche immerhin das fünftgrößte Eiland Südkoreas. Über Highways führte mich mein Weg zunächst aus Seoul heraus, durch mehrere Vororte immer Richtung Westen.

Nach etwa einer Stunde Fahrzeit überquerte ich eine der beiden großen Brücken, die die Insel mit dem Festland verbinden. Da ich mir vorher im Internet nur einen groben Überblick über die Sehenswürdigkeiten verschafft und kein bestimmtes Ziel vor Augen hatte, schlug ich zunächst einfach die vom lokalen Tourismusverband empfohlene Route über die Insel ein. Diese führte mich nach Süden, dann weiter Richtung Westen an der Küste entlang und wartete gleich mit den ersten Stopps für kürzere und längere Entdeckungstouren auf. Da die Gegend in den vergangenen Jahrhunderten mehrfach Schauplatz kriegerischer Auseinandersetzungen zwischen Koreanern und Kolonialmächten aus Asien und Europa waren, gab es unzählige Befestigungsanlagen, steinerne Kontrollposten und Überreste von Burgen zu bestaunen; allesamt Relikte einer glücklicherweise vergangenen Zeit. Immer wieder stellte ich mein Wägelchen auf einem Parkplatz ab, um auf ein paar alte Steine zu klettern, Erdwälle und alte Kanonen zu bewundern. Kleinere Ausgucke wechselten sich mit trutzigen Burgen ab, Gruppen von Kindern huschten durch das Gelände. Es scheint ein Teil der in Korea üblichen Erziehung und Ausbildung zu sein, Kinder am Wochenende die Historie ihres Landes studieren zu lassen – denn genau das ließ sich hier hervorragend tun. Was mich dann aber doch stutzen ließ, waren die begleitenden Erwachsenen, seien es nun Lehrer, Betreuer oder was auch immer. Denn um der Kinderschar auch hinsichtlich der angeschlagenen Lautstärke Herr zu werden, kamen Megafone oder eine Kombination aus Mikrophon und Lautsprecher zum Einsatz. Man kann sich bildhaft vorstellen, dass das nicht gerade zum Senken der Lautstärke führt. Ich kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Zum Glück hatten die Kinder noch nicht technisch aufgerüstet...


Der Odu-Außenposten



Der Eingang zur Gwangseongbo-Festung





Bildung für alle!


Nachdem ich die bedeutendsten Gemäuer besichtigt hatte, gelüstete es mich nach etwas Abwechslung und so nahm ich an der nächsten Kreuzung eine Straße ins Inselinnere. Es dauerte nicht lange und ich erblickte ein Schild, das auf den etwas abseits gelegenen Jeongusa-Tempel hinwies. Kurzentschlossen verließ ich die Hauptstraße und folgte dem Weg, der sich in Serpentinen den Berg hinauf schwang. Irgendwann stieß ich auf einen mitten im Wald gelegenen Parkplatz, auf dem ich mein Auto abstellte und zu Fuß weiterging. Ich war nicht der einzige Besucher hier oben – die sehr herausgeputzten übrigen Gäste ließen mich schließen, dass es keine weite Wanderung zum Tempel werden würde. Wurde es auch nicht. Nach etwa 100 Metern stand ich inmitten einer Handvoll Gebäude, die sich an den Berg schmiegten und deren Mittelpunkt die Haupthalle mit einem vergoldeten Buddha bildete. Schräg gegenüber befand sich die Lehrhalle, die ausstaffiert mit vielen bunten Lampions vor allem der Meditation und der Weitergabe von Wissen dient. Aus der Größe der Halle schloss ich, dass hier wahrscheinlich auch der eine oder andere Koreaner im Rahmen eines Templestays übernachtet und sich in der Lebensweise der Mönche unterrichten lässt. Als ich das Organisationsbüro am anderen Ende der Anlage entdeckte, blieben keine Zweifel – wer Interesse hat, kann hier für ein paar Tage aus- und absteigen.


Jeongusa-Haupthalle




Die Haupthalle von innen




Die Lehrhalle




Da sich der Nachmittag langsam dem Ende entgegen neigte und der Abend aufzog, machte ich mich auf den kurzen Rückweg zum Auto. Viel Zeit blieb nicht mehr, bevor es dunkel werden würde. Und so fuhr ich wieder der Küste entgegen, in der Hoffnung, vielleicht noch auf einen der zahlreichen Strände der Insel zu stoßen. Ich war zehn Minuten unterwegs, als die Küstenstraße einen scharfen Knick machte und den Blick auf eine große Bucht mit Sandstand freigab. Ich nahm den erstbesten Parkplatz, der zu finden war, um dieses herrliche Fleckchen zu Fuß zu entdecken. Die Sonne näherte sich dem Horizont und tauchte die Szenerie in ein fantastisches Licht. Die vielen Koreaner um mich herum schienen den Besuch zeitlich genau abgepasst zu haben und genossen die Abendstimmung genauso wie ich in vollen Zügen. Vom Hügel am Ende des Strandes hatte ich einen tollen Blick über die Bucht und konnte beobachten, wie die Ebbe einen großen Teil des vorgelagerten Watts freigab. Selbst die Priele weit draußen waren von hier zu erkennen. Einzelne Fußgänger spazierten durch das Watt. Für einige Minuten ließ ich die Stimmung auf mich wirken und genoss den Augenblick. Schließlich, als die Sonne hinter den am Horizont hängenden Wolken verschwunden war, setzte ich mich ins Auto und machte mich in der hereinbrechenden Nacht auf den Rückweg nach Seoul.






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