Mittwoch, 28. November 2012

Straßenverkehr mal anders

Zumindest haben die Koreaner keinen Linksverkehr. Aber abgesehen davon sollte man in Seoul stets hellwach sein, wenn man sich hinter das Steuer setzt. Nachdem ich die ersten Wochen mit U-Bahn und Bus ins Büro gefahren bin und jeden Tag mehr als zwei Stunden in überfüllten öffentlichen Verkehrsmitteln zubrachte, war ich froh, als mein internationaler Führerschein eintraf. Seitdem lege ich die 18 km Arbeitsweg mit einem Leihwagen zurück, ein Hyundai Sonata, 2.0 l Benziner mit 170 PS. Der Sonata ist hier so eine Art Jedermann-Wagen, das mit Abstand häufigste Modell auf der Straße. Glaubt man der Statistik, hat Hyundai in Südkorea einen Pkw-Marktanteil von etwa 50% - und wenn ich mich im Straßenverkehr so umschaue, gibt es keinen Grund an der Statistik zu zweifeln. Ich nehme an, dass Kia weitere 25-30% des Marktes einnimmt, so dass nicht mehr viel Platz für andere Automarken bleibt.

Die durchschnittlich hohe Leistung der Autos hier schlägt sich leider auch im Benzinverbrauch nieder, mit meinem Sonata schaffe ich es gerade so, unter 10 Litern auf 100 Kilometern zu bleiben. Immerhin verkürze ich mit dem Auto die Zeit für das Pendeln auf etwa eine Stunde täglich, allerdings nur, wenn ich es schaffe, die Strecke vor dem morgendlichen und abendlichen Verkehrsinfarkt hinter mich zu bringen. Dafür starte ich morgens um halb 7 auf die dann noch leeren Straßen. Da es zu dieser Zeit noch dunkel ist, findet man recht schnell die erste Spezialität der Koreaner heraus: ohne Licht zu fahren. Die Straßenlaternen leuchten schließlich genug, warum also die Fahrzeugbelichtung einschalten? Geschätzte 10% der Autofahrer frönen diesem Hobby, vielleicht um Benzin zu sparen, vielleicht um den Kitzel etwas zu erhöhen. Ich habe mir jedenfalls angewöhnt, sehr genau in den Rückspiegel zu sehen, bevor ich abbiege oder die Spur wechsle. Apropos abbiegen: Auch Blinken ist absolut aus der Mode. Die Mehrheit der Autofahrer weiß wahrscheinlich gar nicht, wo der Blinker in ihrem Auto zu finden ist.

Insgesamt ist der Verkehr sehr stark reglementiert, an vielen Stellen stehen Kameras zur Geschwindigkeitsmessung, nahezu alle Kreuzungen sind mit Ampeln ausgestattet. Und die Ampelphasen sind ungemein lang, was zwar bedeutet, dass bei Grün viele Autos über die Kreuzung fahren können – aber falls man an die Kreuzung rollt und es gerade erst Rot geworden ist, kann man sich zweifellos drei Minuten entspannen, bevor es weitergeht. Nicht alle Koreaner sehen das so eng. Eigentlich sehe ich täglich Fahrer, die offensichtlich eine Rot-Grün-Farbschwäche haben oder die Ampel zufällig übersehen haben. Die Krönung waren ein Bus, der einfach bei Rot über die Kreuzung bretterte und ein Pickup, der – während wir auf der Geradeausspur vor der roten Ampel warteten – auf der Linksabbiegerspur vorbeifuhr, vor dem ersten Fahrzeug einscherte und dann über die Kreuzung donnerte. Sehr unterhaltsam also, besser als Kino! Besonders Achtgeben muss man, wenn Busse auf der Straße auftauchen: die Fahrer sind absolut skrupellos und fahren auch mal von der ganz rechten auf die ganz linke Spur, ohne auf die Autos drum herum jegliche Rücksicht zu nehmen. Das hat dann den lustigen Domino-Effekt, dass der Fahrer, der neben dem Bus fährt, auf die nächste Spur fährt und den dortigen Fahrer zwingt, ebenfalls die Spur zu wechseln. Die Spuren sind allgemein so eng, dass der eine oder andere Amerikaner hier grundsätzlich auf das Autofahren verzichtet. Das Erstaunliche ist, dass es trotz all der Eigenheiten auf der Straße gesittet zugeht. Es wird wenig gehupt; wer aus irgendeinem Grund die Spur wechseln muss, wird ohne Murren reingelassen; irgendwie wurschteln sich alle gemeinsam erfolgreich durch. Ich habe noch keinen einzigen Unfall gesehen, was bei der Verkehrsdichte wirklich einem Wunder gleicht. Für jemanden, der den Berliner Stadtverkehr gewöhnt ist, wirkt die Atmosphäre auf der Straße fast entspannt – und das, obwohl ganz Seoul eigentlich ein einziger Stau ist. Ich habe einmal versucht, morgens etwas später zur Arbeit zu fahren – und habe glatt die doppelte Zeit benötigt. Es lohnt sich also, früh aufzustehen.

Eine interessante Alternative zum Auto ist natürlich das U-Bahn-Fahren, bei dem man viel Unerwartetes erleben kann – dazu aber ein anderes Mal mehr…Damit Ihr, liebe Leser, Euch in der Zwischenzeit ein bisschen betätigen könnt, gibt es für Euch eine neue Knobelfrage zum Thema, und zwar: Wie viele U-Bahn-Stationen sind es von meiner Wohnung (Station „Digital Media City“) bis zum Büro (Station „Silim“)? Kleiner Tipp: Ich fahre mit den Linien 6 und 2! Richtige Antworten, die bis zum 5. Dezember eingehen, werden wieder mit einer hübschen Postkarte aus dem Fernen Osten belohnt. Viel Spaß beim Rätseln!

Und wer es richtig knackig mag, der versucht einmal herauszufinden, wie viele Stationen es auf dem Rückweg sind – dann fahre ich nämlich anders und steige an der Hongik University von Linie 2 in die Airport-Linie um. Letztere ist in den englischen U-Bahn-Plänen häufig nicht verzeichnet, in den koreanischen hingegen schon.

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